Es war kein Sommer wie immer, in keinster Weise, und das, wo doch die Sehnsucht danach nach zwei Jahren Corona-Flaute so groß war: Schon bei der Buchung verging vielen die Urlaubslaune. Offenbar strömte dieses Jahr ganz Europa nach Spanien. Und die Spanier strömten auch, in Spanien. Flüge, Hotels und Mietwagen erlebten massive Teuerungen. Hinzu kam Chaos an den Flughäfen durch „überraschenden“ Personalmangel, Streiks bei Ryanair und Easy Jet, dadurch Flugausfälle und Verspätungen. Das Gedrängel setzt sich fort: Hotelbuffets, Taxistände, Strände, Eisdielen, Strandbars. Dazu ein ständiger Odem aus Frittenfett und Sonnencreme beim Anblick grob fahrlässig unbedeckter Körperstellen. Die „Paella“ kalt, der Sangría warm, Eiswürfel-Krise, Melonen zum Preis von Trüffeln.
Hunderttausende Kellner, Köche, Zimmermädchen ächzen für das Glück der Touris in 6-6,5-Tage-Wochen, während Hoteliers und Lokalwirte wieder von Rekordauslaustung im Sommer 2022 in Spanien schwärmen, auch wenn die Kundschaft etwas knausriger ist. Die Gewerkschaft UGT kalkuliert für die Branche allein im Juli 31 Millionen unbezahlte Überstunden. Dank der „Auslastung höher als 2019“ erfasst die Gentrifizierung hin zu AirBnB-Wüsten nicht mehr nur Alicantes oder Málagas Zentrum, sondern auch Randbezirke, schnuckelige Hinterlanddörfchen. Die Preise der Lokale ziehen an, der gute Geschmack weg. Für immer.
Das war kein Sommer wie immer, belegt das staatliche Wetteramt Aemet in seinem vorläufigen Bericht: 3,8 Grad heißer als im Schnitt war dieser Sommer. Der Juli wurde mit 25,6 Grad (rund um die Uhr gemessen) der heißeste Monat, den Spanien je registriert hat, standardisierte Messungen gibt es seit 1961. Der bisherige Rekord von 29 Tagen (2015) in Hitzewellen in Spanien wurde pulverisiert, 42 schafften wir, in 43 Provinzen. Auch das sonst frische Nordspanien bot kaum noch Abkühlung, San Sebastián an der Biskaya und selbst Galicien am Atlantik kamen wochenlang auf oder knapp an 40 Grad. Ähnliches gilt für die Kanaren, sonst Refugium wohltemperierten Urlaubs. Dank eines aufgeheizten Meeres, das Werte der Karibik schlägt, freut sich ganz Spanien schon auf die Unwetter-Saison und neue Rekorde.
Zur Hitze kommt der akute und chronische Wassermangel in Spanien: Verschwendung, unzureichende Vernetzung und schlechtes Management sind dabei wichtige Aspekte, aber nicht die entscheidenden dieses existentiellen Notstands. Zu wenig Regen, steigender Verbrauch durch Massentourismus und Landwirtschaft, die tropische Wassermengen zum Beispiel für Avocados einsetzt, sowie eine durch die Hitze um bis zu ein Fünftel angestiegene Verdunstung, sind die Wasserkiller.
Spaniens Stauseen standen am 30. August bei unter 35 Prozent ihrer Kapazität, 20 Punkte unter dem Schnitt der letzten zehn Jahre. Die fünf größten Flüsse kommen nicht über 25 Prozent ihres Normalpegels. Manche Stauseen, wie La Viñuela in Málaga, sind mit 10 Prozent hydrologisch tot. In immer mehr Dörfern ersetzen Tankwagen den Wasserhahn, während Hotelanlagen pro Touristen-Kopf das Doppelte an Wasser verbrauchen wie normale Menschen benötigen, für Planschbecken, Eiswürfel und immergrüne Golfplätze.
Laut Aemet fielen vom 1. Mai bis 21. August im Schnitt (im Süden praktisch gar kein) 57,4 mm Regen, der schlechteste Wert seit 1965, als es 63,2 waren, mit weniger Einwohnern und Touristen, kaum Agrarexport. Einbußen in der Landwirtschaft zwischen 20 bis 80 Prozent, je nach Frucht, werden 2022 erwartet, noch ein Dürrejahr 2023, so der Verband Asaja, würde jeden vierten Landwirt ruinieren. Auch die saubere Stromerzeugung durch Wasserkraft ist die niedrigste seit 1992, der Strompreis auch deshalb der höchste jemals. Entsalzungsanlagen, in die die Regierung zusätzlich 300 Millionen Euro steckt, brauchen noch mehr Energie, so viel, dass dafür benötigte Solaranlagen auch Naturflächen zerstören. Teurer ist das Wasser dennoch, die Differenz zahlt der Steuerzahler, aber nicht der Handel, der die Preise erhöht.
Bis Ende August erlebte Spanien 51 Großbrände, Waldbrände, die jeweils mehr als 500 Hektar vernichteten. 300.000 Hektar, also 3.000 Quadratkilometer oder eine Fläche von 50 mal 60 Kilometer Kantenlänge ging 2022 schon bis jetzt in Flammen auf, das Vierfache des Durchschnitts der letzten zehn Jahre. Allein in Galicien, so schätzen Umweltschützer, starben dabei 400.000 bis 500.000 Wildtiere. Auch hier, das bestätigen Experten von Greenpeace bis Zivilschutz, mangelt es an Prävention.
Mit den Fingern auf Umweltschützer zu zeigen, weil die „alles in der Natur verbieten“ wollen, ist aber eine demagogische Ablenkung. Es sind die Politiker, nicht die Ökos, die Naturparks deklarieren und dann kein Personal stellen. Die meisten verbrannten Flächen sind außerdem Privatbesitz und es sind Behörden, die Flurpflege nicht ausreichend kontrollieren, die Abgeordneten, die einheitliche Gesetze dazu verhindern.
Doch Bomberos bestätigen, dass die Feuer aufgrund klimatischer Veränderungen und mehr Biomasse eine völlig neue Qualität erreichen, sich explosionsartig ausdehnen und kaum noch zu löschen, höchstens noch einzugrenzen sind. Die Entvölkerung trug auch zur Verwahrlosung der Fluren bei, über Jahrzehnte zwangen Agrarkonzerne Bauern zur Aufgabe, Großindustrie lockte in die Städte, der Tourismus an die Küsten. Zurück blieben Felder, Weiden ohne Herren.
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Drei Menschen starben 2022 aufgrund der Waldbrände, zwei Feuerwehrmänner und ein Schäfer. Bis Mitte August ertranken 266 Menschen im spanischen Mittelmeer, in Pools, Stauseen und Bergbächen Spaniens. Ein paar Balkoning-Opfer auf Mallorca. Beim Zusammensturz einer Bühne bei einem Festival in Cullera in Valencia wegen eines heftigen Sommersturms kam ein junger Mann ums Leben, sieben Menschen starben allein in der Region Valencia bei Stiertreiben. Tod durch Tradition. Selbst Schuld, aber dennoch traurig.
Die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle nimmt in den Sommermonaten zu, vor allem Motorradfahrer verunglücken, 16 allein in Andalusien seit Juni tödlich. Übergriffe auf Frauen durch Partner und Ex-Partner sind überproportional im Sommer, auch häusliche Gewalt gegen Kinder nimmt zu. Mehr Menschen „entspannen“ sich mit Alkohol in sengender Hitze, das Aggressionspotential steigt. Die „Sommerdepression“ ist ein stehender Begriff der Psychologie. Direkte Hitzetote in Spanien registrierte das Institut Carlos III. allein im Juli 2022 2.056, das Vierfache des Schnitts.
Fernando Valladares vom Nationalen Forschungsinstitut CSIC resümiert: „Dieser Sommer wird wahrscheinlich der frischste sein, den wir für den Rest unseres Lebens erlebt haben werden“. Die gute Nachricht: Der Sommer dauert zwar immer länger, aber es bleiben 8-9 Monate einer Art Dauerfrühling, in der Spanien seinen Zauber entfaltet und das daher Sehnsuchtsort und ein Paradies in Europa bleibt.
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Auslastung gut, Umsatz mäßig: Hoteliers und Wirte ziehen Bilanz zu Spaniens Sommer 2022.