Ende vergangener Woche hatte die EU-Kommission nach langem Ringen vor allem des spanischen Regierungschefs Pedro Sánchez, ihr endgültiges Okay gegeben und sich ausnahmsweise einmal nicht als Gralshüterin des freien Wettbewerbs gesehen, sondern als Institution mit sozialem Gewissen. In Spanien warten nun gut zehn Millionen Stromkunden mit reguliertem PVPC-Tarif gespannt auf die Juni-Rechnung. Dann wird sich zeigen, ob die Deckelung das hält, was sich die Regierung davon verspricht. 37 Prozent der spanischen Haushalte haben sich für dieses Kleinverbraucher-Tarifmodell entschieden. 70 Prozent der industriellen Stromkunden wiederum haben einen Tarif, der sich preislich daran orientiert. Beide Gruppen würden die Strompreis-Senkung direkt spüren.
Der Themenkomplex Gasdeckel-Strompreis-Bremse-Iberische-Ausnahme wurde auf Spaniens TV-Kanälen dieser Tage hoch- und runtegespielt, von Experten wie bei Straßenumfragen: Kein Wunder, denn die Hitzewelle in Spanien lässt die Klimaanlagen glühen und die Stromzähler rasen. Da ist jede Entlastung willkommen. Die Meinungen über die Maßnahme sind gespalten: Klar ist, zwar sank der Strompreis am Großmarkt binnen eines Tages um fast ein Viertel, ist damit aber noch immer über 80 Prozent höher als vor einem Jahr.
Augenwischerei schimpft dann auch die Opposition, die freilich mit allgemeinen "Steuersenkungen" nur wieder ihre Klientel entlastet hätte. Auch manchem Bürger ist das zu wenig, wie schon die 20 Cent Benzinzuschuss an der Tankstelle, zumal die Inflation in Spanien überall galoppiert und die Skepsis bleibt, was in ein paar Tagen oder in einem Jahr geschehen wird. Andere Befragte wiederum danken es ihrem Premier, dass er "überhaupt was macht", dass er sich gegen die Lobby und die Bürokratie in Brüssel durchgesetzt hat, ist eine Leistung, die längst nicht alle würdigen. Viele vergessen auch, dass die spanische Regierung bereits andere Maßnahmen ergriffen hat, um den extremen Anstieg der Strompreise zu bremsen.
Was bedeutet der ibersiche Deal? Erlaubt wird Spanien und Portugal die Deckelung des Gaspreises für die Dauer von einem Jahr. In den ersten sechs Monaten wird der Preis für Gas, das in den Kraftwerken zur Stromerzeugung verwendet wird, 40 Euro pro Megawattstunde (MWh) nicht übersteigen. Schrittweise wird die Deckelung in den folgenden Monaten bis auf 50 Euro pro MWh gesteigert. Das Energieministerium ist überzeugt, dass „die Notfallmaßnahme“ eine 22-prozentige Strompreis-Senkung auf dem Großmarkt zur Folge haben wird. Für PVPC-Kunden soll sich die Stromrechnung um 15 bis 20 Prozent verbilligen.
Die Experten der EU-Kommission halten die Kalkulation laut Ministerium für realistisch. „Wir hätten das Ganze gerne etwas früher gehabt“, sagte Ministerin Teresa Ribera, „aber das komplexe Procedere hat halt seine Zeit gedauert.“ Die Deckelung hat noch einen sekundären Effekt. Er wird die hohe Inflation senken. In welchem Umfang, das bleibt abzuwarten. Die Regierung schätzt zwischen 0,8 und 1,0 Prozentpunkte. Experten sind vorsichtiger. Bei der Berechnung der Verbraucherpreis-Entwicklung wird beim Kapital Strom ausschließlich der PVPV-Tarif berücksichtigt. Die aktuell hohe Inflationsrate – zuletzt 8,7 Prozent – ist zu einem Großteil auf die steigenden Energiepreise zurückzuführen.
Es könnte sich ein weiterer Effekt einschleichen: Kurzfristig wäre ein Wechsel vom freien Markt in den regulierten PVPC-Tarif lohnenswert. Aber Stromkunden auf dem freien Markt profitieren von der Deckelung. Jedenfalls dann, wenn momentan eine Vertragsverlängerung anstünde. Billig ist die Maßnahme allerdings nicht. Die EU-Kommission schätzt die Kosten der Deckelung auf 8,4 Milliarden Euro. Davon entfallen auf Spanien 6,3 Milliarden Euro. Ein Teil der Kosten wird aus den Einnahmen finanziert, die sich im Stromhandel zwischen Spanien und Frankreich ergeben. Ein weiterer Teil resultiert aus einer Abgabe, die Spanien und Portugal von Käufern erheben können, die wegen der Deckelung dann subventionierten Strom aus Spanien beziehen. Auch die Stromkunden selbst tragen zur Finanzierung bei. Unter dem Strich, so heißt es, überwiegt aber der Nutzen.
Beim EU-Gipfel im März zum Thema Energiekrise war beiden Ländern zugestanden worden, in den Strommarkt einzugreifen. Da der iberische Strommarkt eine vergleichsweise isolierte Stellung in Europa besitzt, wurde keine „Ansteckungsgefahr“ für den übrigen europäischen Strommarkt gesehen. Seitdem wird gerne von der „iberischen Ausnahme“ gesprochen. Gleichwohl deutet sich an, dass aus der Ausnahme eine Regel werden könnte. So sprach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jetzt erstmals davon, dass „der Markt nicht mehr funktioniert“ und eine Reform nötig sein.
Dabei geht es vor allem um das Modell der Strompreisbildung auf dem Großmarkt. Dass bei der Stromproduktion der jeweils teuerste zum Einsatz kommende Energieträger den Gesamtpreis bestimmt, halten Kritiker für eine ungerechtfertigte Bevorzugung der Stromkonzerne. Selbst wenn 90 Prozent des Strombedarfs zu einer bestimmten Tageszeit mit billiger Wind- und Sonnenkraft gedeckt würden und nur zehn Prozent mit Gas, bestimmt das Gas den Strompreis. Verbraucherfreundlich ist das nicht.
Eine Änderung der Preisbildung ist eine alte Forderung der spanischen Regierung. Vor vier Monaten wäre das als noch als Sakrileg bezeichnet worden. Der Überfall Russlands auf die Ukraine und die Entwicklung der Energiepreise seitdem lässt eine Abkehr von dem altem Modell wahrscheinlich werden. Dann hätte sich Spanien zu guter Letzt doch noch durchgesetzt. Auf alle Fälle kann davon ausgegangen werden, dass im übrigen Europa sehr genau beobachtet wird, wie sich die Deckelung auswirkt.
Dass die Maßnahme keine "Revolution" oder der Durchbruch bei den Energiepreisen ist, ist allen Akteuren klar. Den kann nur eine Energiewende bringen, die Spaniens und Europas Potential an Erneuerbaren Energien ausschöpft. Chancen und Fallen der Energiewende in Spanien. Noch besser aber, man macht es wie diese Gemeinde bei Ciudad Real in der Mancha und koppelt sich ganz vom Stromnetz ab.