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Ein Jahr Krieg: „Wir sind eine Wand für ganz Europa“ - Ukrainer aus Spanien erzählen

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Von: Anne Götzinger

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Eine Frau steht am Grab eines gefallenen Soldaten, im Hintergrund weht die ukrainische Flagge.
Am 24. Februar jährt sich die russische Invasion in der Ukraine zum ersten Mal. © Petros Giannakouris/dpa

Am 24. Februar 2022 startete Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine und brachte ganz Europa ins Wanken. Ukrainer aus Spanien erzählen, wie sie den Kriegsausbruch erlebten, wie sie von hier aus helfen und was sie von der Zukunft erwarten.

Alicante – Immer wieder klingelt Antonina Rogalskas Handy und auf dem Display erscheint die ukrainische Ländervorwahl 038. Die 62-Jährige verbringt diesen – wie fast jeden – Abend im Sitz von Slavutich, der Vereinigung für Ukrainer in der Provinz Alicante. An den Wänden des kleinen Ladenlokals in Mutxamel an der Costa Blanca hängen die ukrainische Flagge mit Unterschriften von Soldaten, Kinderzeichnungen und Fotos von Hilfsaktionen des Vereins. Der letzte Anruf stammt von einem Soldaten, der von der Ukraine aus um Hilfe bittet. Seine Mutter lebe in Torrevieja, habe eine Lungenentzündung und spreche kaum Spanisch. Ob Antonina vielleicht beim Gespräch mit dem Arzt übersetzen könnte. Natürlich kann sie das. Gerade in Torrevieja gibt es eine große Zahl von Ukrainern und Russen.

„Unser Verein hat sich 2004 gegründet, eigentlich als Kulturverein und um die Integration von Ukrainern in Spanien zu fördern“, sagt die 62-jährige Ukrainerin, die seit 24 Jahren in Spanien lebt. Sein Name „Slavutich“ sei die alte slawische Bezeichnung des Flusses Dnepr, der die Ukraine durchkreuzt. Doch vor einem Jahr änderte sich die Arbeit von Slavutich schlagartig. „Als am 24. Februar 2022 der Krieg ausbrach, haben wir uns schnell umgestellt und Hilfsaktionen organisiert“, erzählt Antonina Rogalska. Der Verein sammelt Spenden und schickt tonnenweise Hilfsgüter in die Ukraine, die Mitglieder helfen Flüchtlingen bei der Ankunft in Spanien und dolmetschen.

Ein Jahr Ukraine-Krieg: „Für Putin existiert die Ukraine als eigenständiger Staat nicht“

„Ich erinnere mich an den Tag, an dem der Krieg ausbrach, ich stehe immer sehr früh auf, ich habe meine Tochter geweckt“, fängt Mikola Bilyachenko an, bricht ab, weil die Tränen ihn überwältigen. „Und ich habe ihr gesagt, der Krieg hat begonnen“, fährt der 49-Jährige fort, nachdem er sich gefangen hat. „Ich glaube, wir alle haben in den ersten Monaten abgenommen, wir konnten nicht schlafen“, meint Antonina Rogalska, „aber irgendwann musst du dich daran gewöhnen, sonst zerbricht dein Herz“.

Für die 62-Jährige und ihre Landsleute war seit der Krim-Krise 2014 klar, dass Putin nicht aufhören würde, bis er die Ukraine erobert haben würde. „Wir haben immer damit gerechnet, dass dies eines Tages passiert“, meint Bilyachenko. „Denn für Putin existiert die Ukraine als eigenständiger Staat nicht.“ Seine Schwägerin Julia Zelinska, ebenfalls Mitglied bei Slavutich, berichtet von einer Tante in Russland. „Sie sagt, das sei kein Krieg, es sei eine Hilfe Russlands für die Ukraine“, erzählt die 35-Jährige. „Am ersten Tag der Invasion erklärte meine Tante, Russland werde der Ukraine die Freiheit bringen – wir haben den Kontakt abgebrochen.“

Ukraine-Krieg belastet Beziehung zwischen Ukrainern und Russen in Spanien

Auch in Spanien gebe es praktisch kein Miteinander mit Russen. „Wenn mich jemand etwas auf Russisch fragt, dann antworte ich auf Spanisch“, meint Julias Schwester, Olena Zelinska. Und Antonina Rogalska fügt hinzu: „Ich bin Lehrerin für Russisch und Weltliteratur, aber wenn ich jetzt jemanden Russisch sprechen höre, dann stößt mich das so sehr ab, dass ich gehen muss“, gesteht sie. „Das hätte ich mir nie vorstellen können.“

Ihnen sei immer klar gewesen, dass der russische Präsident nicht aufhören würde. „Zuerst die Ukraine, dann Polen und so weiter, bis Spanien, er will alles“, ist Mikola Bilyachenko überzeugt. Die Widerstandskraft des ukrainischen Volkes gegen die russische Invasion führen sie auf die Geschichte zurück. „Wir leben seit 800 Jahren mit dem Krieg, seit über 300 mit Russland“, meint Antonina Rogalska. „Deswegen besitzt die Ukraine diese Stärke und diesen Stolz, um das Land und seine Menschen zu verteidigen.“

Die Ukraine sei „wie eine Wand, die ganz Europa verteidigt“

Das ukrainische Volk sei sehr geeint, meint Bilyachenko. „Ich glaube, die Ukraine ist die einzige Nation, die Russland die Stirn bieten kann, deshalb brauchen wir Hilfe und Unterstützung in Form von Waffen, denn wir geben unser Leben, das restliche Europa muss zumindest das Geld geben“, sagt der 49-Jährige. „Wir sind wie eine Wand, die ganz Europa verteidigt“, meint Rogalska. „Wir sind nicht dort, aber wir arbeiten Tag und Nacht für die Ukraine, denn es ist unser Krieg und es ist unsere Pflicht“, sagt die 62-Jährige, die vergangene Woche ihren Sohn in Charkiw besucht hat, einer der am meisten von russischen Bomben zerstörten Städte.

Sechs Ukrainer stehen in Mutxamel, Spanien, vor einem Plakat mit Bildern von Hilfsaktionen für die Ukraine.
Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Antonina Rogalska (3.v.l.) und ihre Mitstreiter von Slavutich erzählen. © Anne Götzinger

Auf die Frage, wie die Situation dort ist, gerät die sonst so resolute Ukrainerin ins Stocken und kämpft mit den Tränen. „Es ist sehr hart und schwierig, der Strom fällt immer wieder aus, das Netz bricht zusammen, die Heizung funktioniert nicht“, erzählt sie. „Ich bin seit einer Woche wieder hier, aber meine Gedanken sind immer noch dort, ich bin am Boden zerstört. Es ist so traurig, die Straßen ohne Kinder zu sehen.“

Ukrainer in Spanien: Entwurzelte Leben durch den Krieg

Rund 100 Flüchtlinge seien nach Ausbruch des Krieges nach Mutxamel gekommen. Doch im vergangenen Sommer seien viele in die Ukraine zurückgekehrt. „Zum einen, weil es hier schwierig ist, es gibt keine finanziellen Hilfen, und die Mieten sind unglaublich gestiegen“, sagt Rogalska. Viele seien aber auch wegen ihres Arbeitsplatzes in die Ukraine zurückgekehrt. „Manche wollten, dass ihre Kinder zum Schuljahresbeginn wieder in der Heimat sind, wieder andere hatten Familienangehörige dort und machten sich Sorgen. Es gibt viele Gründe.“

Vor allem für ältere Flüchtlinge sei es auch sehr hart, hier in Spanien zu sein. „Sie sind wie ein Baum, den man ohne die Wurzel abgeschnitten und in ein anderes Land versetzt hat“, vergleicht sie. Auch Mikola Bilyachenko hatte im März 2022 seine Eltern und Schwiegereltern nach Spanien geholt. Auch sie kehrten im Sommer in die Ukraine zurück. „Sie wollten zurück zu ihrem Haus und sagten, wenn wir sterben müssen, dann wollen wir zu Hause sein“, erzählt der 49-Jährige.

Ukraine-Krieg löste Welle der Solidarität in Spanien aus

Sehr dankbar seien sie für die Solidarität, die sie seit Ausbruch des Krieges erfahren hätten, etwa von der Grundschule Arbre Blanc, die eine große Spendensammlung veranstaltet habe. Aber auch von den Rathäusern in Mutxamel, Sant Joan, Alicante und San Vicente habe der Verein viel Unterstützung bekommen. „Die Spanier reagieren immer großartig auf Solidaritätsaktionen“, meint Antonina Rogalska.

Und was erhoffen sich die Ukrainer von der Zukunft? „Wir hoffen, dass wir diesen Krieg gewinnen und zu unseren Grenzen von 1991 zurückkehren“, meint Mikola Bilyachenko. „Und dann müssen wir sehen, wie wir diese Zukunft sichern können und mit wem, vielleicht mit der Nato, sonst wird das wieder passieren.“

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