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Steuergeschenke für Reiche in Andalusien: Eine Ohrfeige für die Armen

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Von: Marco Schicker

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Moreno nimmt ein Bad in der Menge.
Moreno verhalfen 2022 viele Andalusier zur absoluten Mehrheit, die nun durch seine Steuerpolitik den Kürzeren ziehen. © José Manuel Vidal/EFE

Während die Landesregierung in Andalusien wenigen Reichen die Vermögenssteuer als „obsolet“ erlässt, verfällt das öffentliche Gesundheitswesen, bleiben fast eine Million arme Menschen quasi sich selbst überlassen.

Sevilla – Das Steuergeschenk, das Andalusiens Landeschef Juanma Moreno kürzlich seinen reichsten Landsleuten machte, sorgt weiter für Diskussionsstoff. 0,2 Prozent der Bevölkerung, rund 17.000 Wohlhabende, sparen sich ab diesem Jahr pro goldener Nase rund 5.800 Euro. Ein Betrag, den diese Gruppe kaum bemerkt, ebenso wie sie zehn Prozent Inflation kaum belastet. In Summe aber sind das jährlich rund 120 Millionen Euro, die dem öffentlichen Haushalt verloren gehen. „Obsolet, kaum Einbußen“, so Moreno, der mit der linken Hand seine Klientel bedient, aber mit der rechten in Madrid bei den "Sozialisten" um mehr Geld bettelt.

Die nach 40 Jahren in Andalusien abgewählte PSOE bleibt dazu vergleichsweise still. Vielleicht, weil sie es in vier Jahrzehnten nicht schaffte, das mit natürlichen Ressourcen und Schönheit überreich beschenkte Andalusien vom Armenhaus zur schmucken Finca umzubauen, in der nicht jeder Fünfte am oder unter dem Existenzminimum darben muss. Vielleicht auch, weil die PSOE-Regenten ihrem Land durch die gerichtlich mit Haftstrafen für Ex-Landesministerpräsidenten belegten ERE-Skandale noch rund 600 Millionen Euro schuldig sind.

Morenos Andalusien soll Politik in Spanien bestimmen

Polizei in einem Vorort von Sevilla.
Polizeieinsätze wegen Drogen und Gewalt sind in Torreblanca, einem der Armenviertel Sevillas an der Tagesordnung. © Emergencias Andalucía

Dass Moreno, nun „absoluter“ PP-Herrscher im Land, durch sein Steuergeschenk andere Ziele verfolgt, als „Unternehmer zu Investitionen zu animieren“, Andalusien als steuerschonende Adresse im landesweit vom Zaun gebrochenen Steuerwettkampf der PP-Regionen zu positionieren, liegt auf der Hand. Moreno führt seinen Parteifreunden der Volkspartei vor, dass er nicht nur ein ständetreuer Landesbaron, sondern womöglich sogar ein Kronprinz sein könnte. Nach außen moderat, staatsmännischer als die Madrider Krawall-Populistin Isabel Díaz Ayuso. Es stehen Wahlen an, es riecht nach Machtwechsel und Posten. Warum soll der übernächste Regierunschef Spaniens - nach PP-Parteichef Fejióo - nicht Moreno heißen? „Andalusiens Politik gibt den Rhythmus in ganz Spanien“ vor, erklärte Moreno, von sich selbst schwer begeistert.

Die sozialen Probleme in Andalusien werden durch die Steuersenkung für Reiche naturgemäß nicht geringer. Gerade bescheinigte das Statistikamt INE dem Land wieder 16 der 20 Gemeinden Spaniens mit den geringsten Einkommen zu stellen, mit 17,7 Prozent die höchste Schulabbruchrate von Lissabon bis Bukarest zu haben. 1.200 Krankenpfleger wanderten binnen eines Jahres ab, so deren Gremium CAE, während das Land immer mehr öffentliches Geld an private Spitäler zahlt, weil die für das schrumpfende öffentliche Gesundheitssystem einspringen müssen – oder dürfen. 120 Millionen Euro lösen dieses strukturelle Problem nicht. Aber 120 Millionen Euro könnten für viele Familien einen Unterschied zwischen Elend und würdiger Armut machen. Und das ist ein Unterschied.

EU finanziert Andalusiens Armutsprogramme

In Sevilla halten Menschen ein Transparent aus Protest gegen den Besuch des Königs hoch
Proteste beim Besuch des spanischen Königspaares in Sevilla. Auf dem Transparent wird das Jahreseinkommen der Kronprinzessin Leonor mit dem durchschnittlichen Haushaltseinkommen im Armenviertel Las Tres Mil Viviendas verglichen. © EFE

Das konnte man gerade sehen, als das ERACIS+ Programm Bilanz zog, hinter dem sich Landesbehörden, Vereine und Stiftungen, „verbergen“, um sich um die Ärmsten der Armen zu kümmern. 180 Millionen Euro hat das Programm jährlich zur Verfügung. Bei ERACIS+ geht es vor allem um die berüchtigten Armenghettos Andalusiens, den Polígono Sur und andere periphere Elendsbezirke. 1.600 Mitarbeiter begleiten dort soziale Maßnahmen, Arbeitssuche, Schulungsprogramme, Kinder- und Jugendarbeit, Empowerment von Frauen, Installation von Solarpanelen zur energetischen Unabhängigkeit, Suppenküchen, Drogenausstiegsprogramme, Nachhilfe gegen Schulabbruch. „Neue Horizonte“ bräuchten, so die Verantwortlichen, in den „am meisten benachteiligten Vierteln“ vor allem aber die mittleren Jahrgänge zwischen 30 und 50. Diese Bestandsaufnahme hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert.

Fast das gesamte Geld für die eher homäopathischen Programme zur Armutsbekämpfung in Andalusien kommt aus EU-Mitteln, diese 180 Millionen Euro pro Jahr müssen für 914.000 Personen, 12 Prozent der Bevölkerung Andalusiens, genügen, die „in unmittelbarem Armutsrisiko und sozialer Ausgrenzung“ leben. Pro Person bleiben dafür also 196 Euro im Jahr, während die Millionäre Andalusiens 5.800 Euro zusätzlich geschenkt bekommen.

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