Am 19. Juni wird in Andalusien ein neuer Landtag gewählt, von bis zu 6,64 Millionen Wahlberechtigten unter den 8,4 Millionen Einwohner, ein halbes Jahr vor dem regulären Termin. Seit Wochen scheint das Ergebnis im bevölkerungsreichsten „Bundesland“ Spaniens, größer als Österreich, mehr oder weniger festzustehen, die Umfragen bewegen sich kaum von der Stelle. Danach wird es - wenn sich die Wähler an die Umfragen halten - in Andalusien eine bemerkenswerte Verschiebungen, einen echten Rechtsruck geben: Die konservative Volkspartei PP wird erstmals in der demokratischen Geschichte Andalusiens die PSOE in der Zahl der Mandate überholen, deutlich: Um die 48 der 109 Mandate trauen die Umfragen der Partei des Amtsinhabers Juanma Moreno zu, der mit seinen jetzigen 26 nur regieren kann, weil die Ciudadanos (Cs) ihn mit ihren 21 Mandaten stützen und Vox (12) durch duldende Enthaltungen für entsprechendes Entgegenkommen Mehrheitsentscheidungen möglich macht.
Das wird sich ab 19. Juni ändern, Cs kann froh sein, überhaupt noch im neuen Landtag vertreten zu sein, die PSOE wird mit Mühe die 30-er Marke erreichen, aber Vox von 12 auf 17-22 Mandate zulegen. Obwohl die Spitzenkandidatin Macarena Olona alles dafür tat, sich bei den Andalusiern unbeliebt zu machen. Dafür genügte, dass die frühere Staatsanwältin aus Alicante stammt, in Madrid lebt und mutmaßlich Meldebetrug begangen hat, weil sie sich bei einem parteiaffinen Hotelier bei Granada ins Melderegister eintragen ließ, ohne dort zu wohnen. Die Sache flog auf, Olona verklagt nun die Bürgermeisterin. Die ganze, absurde Geschichte zu Macarena Olona hier.
Vox-Chef Santiago Abascal leugnet, dass der Vox-Höhenflug durch den "Olona-Hurrikan" abgebremst statt beflügelt worden sei. Das seien alles Fake News einer gekauften Presse, Vox, das ewige Opfer. Doch Olona wird von vielen Andalusiern abgelehnt als Fake-Andalusierin. Abascal machte auch klar, dass die Zeit der Duldung vorbei sein wird: "Entweder wir regieren zusammen oder ihr werdet nicht regieren", polterte er auf seiner Sieben-Dörfer-Tour Richtung PP. Die PSOE sieht indes mittlerweile eine so hohe inhaltliche Nähe beider Rechtsparteien, dass einer zweiten regulären Koalition (nach Castilla y León) PP-Vox nur noch Moreno selbst im Wege steht, was sich nach dem 19. Juni schlagartig ändern schnell ändern könnte.
Die Themen im Wahlkampf sind rar gesät: "Rückschritt oder Fortschritt" lautet die knappe Parole Morenos, der auf seinen "Kanzlerbonus" setzen kann und doch noch von der magischen 55 träumt, der absoluten Mandatsmehrheit. Er, genauso wie seine Kontrahenten, durchstreifen, etwas deplaziert wirkend, in ihren TV-Wahlwerbespots sinnierend weiße andalusische Dörfer, treffen lachende Menschen, die von der Requisite mal als Landmänner, mal als Studenten, Rentner (Kittelschürze!) oder bei der Linken auch mal als LGTBI-Komparse ausstaffiert wurden. Die Bildsprache der Spots könnte genausogut für ein Spülmittel erdacht worden sein, man sieht, dass Profis am Werk sind. Gefühle statt Inhalt, das Wahlvolk nicht überfordern. Ähnliches dräut in den TV-Debatten, die womöglich durch das Abspielen der dürftigen Spots sogar inhaltlich gewinnen könnten. Das Gestammel der ersten Andalusien Wahl-TV-Debatte überbot die Weichsspülerei der TV-Spots jedenfalls nicht.
Während die PP einen Aufschwung in Spaniens ärmster Region mit 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit herbeidichtet und Juanma Moreno kostenloses Internet und Fernsehen in allen öffentlichen Krankenhäusern - und bald auch kostenloses Internet in ganz Andalusien via Wifi - verspricht, versucht die Linke ein paar Missstände beim Namen zu nennen: Abbau in eben jenem öffentlichen Gesundheitswesen, bei dem das kostenlose TV wohl die immer länger werdenden Wartezeiten versüßen soll, Vernachlässigung des ländlichen Raumes, Chancenungleichheit, Ignoranz von Klimawandel, Wassermangel und die Gefahr, dass der Kampf gegen die machistische Gewalt durch die negationistischen Vox-Machos auf der Strecke bleibt.
Diversität, Toleranz, das Leben und leben lassen, das für Andalusier seit jeher Lebensart ist, sprechen die Sozialisten an, stellen, um zu punkten, die Konservativen als kalkulierende Neoliberale mit sinestren Absichten dar, begleitet von finsteren Faschos. "Die Andalusier haben die Wahl zwischen der Rechten und ihren Rechten", reimte der PSOE-Spitzenkandidat holprig.
Allein: Die PSOE des etwas beamtig rüberkommenden Juan Espadas ist in Andalusien bis auf die Knochen abgewirtschaftet, sie braucht die Pause von der Macht, darin sind sich viele einig. Das Kryptonit der Sozialisten in Andalusien heißt: ERE-Skandal, sozusagen der andalusische "Gürtel". Es geht um hinterzogene, mindestens 680 Millionen Euro aus betrügerisch vergebenen Abfindungen, Honoraren, Pensionen, Gehältern für Jobs, die es gar nicht gibt, Förderungen von Unternehmen, die längst Pleite waren und vieles davon ist noch immer gerichtsanhängig. "Die sollen dieses Geld erstmal zurückzahlen", dann könne man wieder Wählerstimmen einfordern, so der allgemeine Tenor. Da nutzt auch der persönliche Vor-Ort-Einsatz von Pedro "El guapo" Sánchez wenig, die Umfragen bewegen sich keinen Millimeter für die Sozialisten.
Die beiden Linksbündnisse Adelante Andalucía von Teresa Rodríguez (17 Mandate) und die neue Allianz Por Andalucía von Inmaculada Nieto, für viele linke Wähler die Alternative zur korrumpierten PSOE, leiden indes unter internen Querelen, den Einfluss einer präpotenten Podemos-Partei, die zwar die Führungsrolle in der "frente amplio" einforderte, aber zu blöd war, sich pünktlich zur Wahl zu registrieren.
Die politischen Vorschläge beider Gruppen (die eine eher klassisch links, die andere etwas regionalpatriotischer) werden von den Andalusiern nicht als Lösungen ihrer Alltagsprobleme identifiziert, sondern zwischen unnötigem Genderfirlefanz, Cancel-Culture oder - bestenfalls - liebenswertem utopischem Luxus abgelegt. Die Linke jenseits der PSOE hat dennoch eine stabile Wählerschaft, tauscht ihre Mandate nur untereinander, sagen die Wahlumfragen. Sie wirft Morenos PP vor, dass "es denen gar nicht um Andalusien geht", sie schielten nur nach Madrid und sähen die Landtagswahl als Sprungbrett für die Macht im ganzen Land. Morenos selbst bestätigt diese Strategie: "Wenn die PSOE deutlich verliert, wird Sánchez Probleme bekommen", sagte der Ministerpräsident Andalusiens am Wochenende. Und außerdem sollten Sozialisten, die Vox wirklich verhindern wollen, lieber gleich die PP, also ihn wählen, warb Moreno am Mittwoch ganz offen.
Ob der schwere Waldbrand bei Málaga in der Sierra Bermeja einen Einfluss auf die Wahlen in Andalusien haben wird, ist schwer einzuschätzen. Moreno versuchte sich als verständnisvoller Macher, musste sich aber schwere Kritik von Pro Andalucía gefallen lassen: Vernachlässigter Umweltschutz, zu dem auch Flur- und Brandschutz gehöre und prekäre Arbeitsverhältnisse der Waldbrandbekämpfer der Landeseinheit Infoca, hätten zu einem Brand solchen Ausmaßes beigetragen., der eine Wiederholung der Katastrophe vom September 2021 in der Sierra Bermeja darstelle. Darum sollte eine Landesregierung sich kümmern, anstatt um martialisch-schöne Fotos mit Einsatzkräften zu schießen, die diese nur von der Arbeit abhielten.
Und Vox? Macarena Olona und Gäste ziehen per grünem Bus über die Lande und sammeln Frust- und Protesstimmen gegen die etablierten "Versager" und "Landesverräter" ein, Termine bei Feuerwehrleuten, ein Empfang bei Jägern in Jaén, aber vor allem Aufmärsche auf den Plazas sowohl in bürgerlichen Kleinstädten wie in Zentren der Armut, um den "wahren Wandel" für Andalusien herbeizuführen, "schicksalhafte Zeiten" anzukündigen, "ohne Angst vor nichts und niemandem", um "die Richtung Andalusiens zu ändern, was die Richtung Spaniens ändern" wird. Man werde verhindern, dass die Linke (samt PP) weiter stehle, Männer kriminalisiere, die Jagd und den Stierkampf einschränke, die Mauren als "unbegleitete Minderjährige" wieder in Spanien einfallen. Dafür lud sich Olona sogar die Chefin einer neofaschistischen Gruppierung aus Italien ein.
Die wirklich wichtigen Fragen: Arbeit, Armut, Zukunft, Umwelt, werden mit vielen, vielen Nationalflaggen zugedeckt und weggewedelt. Das hat bisher gut funktioniert, wird es auch in Andalusien. Vox, das auf nationaler Ebene gegen alle Sozialmaßnahmen gestimmt hatte, die im Parlament behandelt wurden, will das System nicht ändern, die Partei will es betonieren und militarisieren, zu einem parafeudalen Ständestaat, der in Andalusien längst nicht überall Geschichte ist. Vox-Wähler sind zum Großteil jene ganz oben und jene ganz unten in diesem System. Ein Paradoxon, das auch jene verschuldet haben, die die Demokratie als Selbstbedienungsladen verkommen ließen - und über Sonnenuntergänge fabulieren.
Andalusien liegt im Trend, auch bei Deutschen: Home Office Granada.