Wenn die Spanier am 28. Mai zu den Wahlurnen schreiten, wählen sie zwar ihre Bürgermeister und Regionalparlamente, zeigen aber eine mögliche Stimmung und Richtung für die nationalen Wahlen auf, auch was die Mobilisierung betrifft. Es geht um nicht weniger als die Bilanz zum Corona-, Kriegs-, Inflation-, Enegiekrisen- und Dürre-Management der Regierung Pedro Sánchez, der praktisch einen Albtraum nach dem anderen zu bewältigen hatte und daneben auch die latenten Krisen des Landes, Jugendarbeitslosigkeit, Katalonien-Krise, Verschuldung etc. beackern musste.
Die rechte Opposition macht es sich relativ leicht und behauptet, Sánchez habe das Land praktisch in den Abgrund geführt, auch wenn numerische Indikatoren wie der Arbeitsmarkt das Gegenteil belegen. Sánchez, der vor allem auf sozialem Gebiet punkten konnte, sieht sich als strahlenden Krisenmanager. Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Doch in Spanien gibt es in dieser Mitte niemanden zu wählen. Die beiden großen Blöcke tun auch viel dafür, diese Bipolarität zu erhalten, die sozusagen abwechselnd profitabel war, linke und rechte Ränder dürfen mitnaschen, aber in der Mitte bleibt kein Platz, auch nicht für konstruktiven Dialog zwischen den „Elefanten“.
Als besonders prestigereich und wegweisend gelten bei Wahlen die Regionen Valencia, wo die linke Botànic-Koalition von Ministerpräsident Ximo Puig (PSOE, Compromís, Podem) weiterarbeiten will, die 2015 eine lange und besonders korrupte PP-Ära (Gürtel-Skandale) beendete sowie die Hauptstadtregion Madrid, wo seit 2019 die rechte Populistin Isabel Díaz Ayuso mit Unterstützung der rechtsextremen Vox regiert und mitunter auch ihren Parteifreunden unverhohlen höhere Ambitionen kommuniziert. Sollte die PP unter Fejóo am 28. Mai schwächeln, wird Ayuso auch umstandslos ein interner Putsch zugetraut, er wäre nicht der erste Parteichef, den sie stürzte.
Ähnliches Gewicht hat noch Andalusien, doch da gab es bereits 2022 Landtagswahlen, die Juanma Moreno von der Volkspartei mit absoluter Mehrheit gewann und der sich so zum Machtfaktor in der PP erhob, während der neue Parteichef Alberto Núñez Feijóo, früher Präsident von Galicien, nun seine erste große Bewährungsprobe erlebt. Der hat sich beim Wahlkampfauftakt in Badajoz gleich einen Faux pas geleistet, als er hier in der Extremadura deklarierte, dass er sich „immer freut, nach Andalusien zu kommen“.
Für Vox, dessen Performance nach zunächst massivem Aufwind, zuletzt in Andalusien und bei anderen Zwischenwahlen weit hinter den eigenen Erwartungen bliebt, ist das Ziel, in alle Landtage einzuziehen und in vielen Zünglein an der Waage sein zu können. Die Linke wiederum, also vor allem Podemos und IU, werden versuchen, ihre Leute bei der Stange zu halten, so gut es geht, denn zu den Parlamentswahlen betritt mit Sumar unter Führung der „Kommunistin“ und aktuellen Arbeitsministerin - und beliebtesten Politikerin Spaniens - Yolanda Díaz eine neue linke Wahlbewegung die Bühne, die zur echten Bedrohung der Podemos-Hegemonie werden könnte. Zumal Sánchez mit Díaz stets besser klar kam als mit den Podemos-Ministern.
Die Umfragen zum Auftakt des Wahlkampfes (alle Daten vom Institut CIS von Anfang Mai) sagen Ayusos PP in der Region Madrid ein Ergebnis knapp unter der absoluten Mehrheit voraus. Sie steht zwar medial in der Kritik, wegen ihres menschenverachtenden Coronavirus-Managements, ihrer spalterischen Polemik und so manchen Korruptionsverdachts, doch die Linke in Madrid ist zerrissen und zerstritten, bietet keine erkennbare Perspektive, weder auf Landesebene, noch für das Rathaus, in dem der PP-Kollege José Luis Martínez-Almeida 2019 die charismatische Manuela Carmena von der PSOE ablöste.
Wahlkampfauftakt in Valencia (Video auf Twitter):
45 Prozent sagt das CIS-Umfrageinstitut, das als tendentiell PSOE-freundlich gilt, der PP unter Ayuso für Madrid vorher, Más Madrid (eine moderate Podemos-Abspaltung) käme auf 21, die PSOE wäre mit 17 Prozent nur dritte Kraft, Podemos läge um die 6-7 Prozent, die rechtsextreme Vox auf ebenso viel, womit die Konstellationen im Landtag gleich blieben. Allerdings sind die Verhältnisse dort so knapp, das eine kleine Abweichung ein Patt oder sogar einen Machtwechsel herbeiführen könnte, wenn auch alle Indikatoren momentan auf vier weitere, laute Ayuso-Jahre deuten.
In der Region Valencia wird, nach der jetzigen Lage der Dinge, die PP die PSOE von Regionalpräsident Puig wohl knapp überholen 31:29 sagt CIS. Dennoch könnte die linke Botànic-Koalition wohl weiterregieren, weil Compromís und andere Linke zusammen auf rund 20 Sitze kommen, während Vox, die einzigen, die mit der PP koalieren würden, „nur“ 8-12 Mandate erringen werden.
Eine sichere Bank für die PSOE und rote Festung bleibt Castilla-La Mancha. Ihm werden 47,2 Prozent der Stimmen zugetraut und damit das beste Ergebnis für einen Landesfürsten in Spanien überhaupt. Allerdings saugt Ministerpräsident Emiliano García Page mit der PSOE praktisch das gesamte linke Lager leer, es ist denkbar, dass weder Podemos, noch IU, auch nicht die beiden grünen Parteien Alianza Verde und Verdes Equo auch nur einen Sitz erlangen. Die PP käme auf ca. 24, Vox auf rund 11. Die Ciudadanos, das liberale Parteienexperiment, mit dem konservative Altkader versuchen wollten, eine PP-affine Fake-Mitte zu schaffen, wird, das ist ein landesweiter Trend in Rathäusern wie Landtagen, weitgehend von der politischen Bühne verschwinden, viele Cs-Kader suchten bereits Unterschlupf im Mutterschiff, auf PP-Listen. In Flächenregionen wie La Mancha könnte auch der Umgang mit der katastrophalen Dürre, die Spanien im Griff hat, ausschlaggebend werden.
Den Umfagen des Instituts zu den Landtagswahlen in Spanien 2023 lauten desweiteren:
Die Stadt Madrid, Spaniens Hauptstadt, tendiert nach wie vor nach Mitte-Rechts, die PP von Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida wird wohl stärkste Kraft. Allerdings wankt seine Mehrheit, wenn die sonst wackelige Mehrheit von Podemos, Izquierda Unida und Alianza Verde bis zu den Wahlen hält, was auf städtischer Ebene besser zu klappen scheint als für die Region Madrid. CIS sagt ein mögliches Patt der Blöcke voraus. Das könnte es auch in Barcelona geben, wobei dort nur die Frage zu beantworten sein wird, ob die amtierende Ada Colau von der halbseparatistischen Linken Barcelona en Comú oder der „verfassungstreue“ Linke von der PSC, Jaume Collboni, gewinnt. Weder PP noch Vox kommen in Kataloniens Hauptstadt auch nur in die Nähe der Macht.
Andalusiens Hauptstadt Sevilla bleibt wohl eine rote PSOE-Insel im momentan schwarzen andalusischen Meer, Bürgermeister Antonio Muñoz kann auf Wiederwahl hoffen, auch Valencia bleibt in linker Hand, jener von Joan Ribó von Compromís, Vigo in der Hand des Sozialisten Abel Caballero und auch Valladolid wird von einem PSOE-Mann, Óscar Puente regiert werden. In Bilbao macht traditionell die baskische Nationalpartei PNV das Rennen.
CIS erklärt aber, dass alle ihre Umfrageergebnisse „den Wert von Schätzungen, nicht von Ergebnisvorhersagen“ hätten. Die Fähigkeit der Wahlkämpfer, vom kleinen Stadtrat bis zum Parteichef, die Wähler an die Urnen zu bringen, haben ganz entscheidenden Einfluss und könnten auch so manch sicher geglaubtes Wahlergebnis drehen. Und diese Performance kann, sowohl bei Beteiligung wie beim Ergebnis, einen entscheidenden Impuls geben, auf welche Seite die Stimmung bei den Parlamentswahlen Ende 2023 beim Kampf um die Moncloa kippt. Laut CIS steht alles auf der Kippe, ist aber auch kein echter Stimmungsumschwung erkennbar. Das Rennen ist also offen.
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