1. Costa Nachrichten
  2. Spanien
  3. Politik und Wirtschaft

Alltag Inferno: Spanien brennt sich in eine neue Normalität - Waldbrände und die Katastrophe Mensch - Updates

Erstellt:

Von: Marco Schicker

Kommentare

Eine Frau beweint ihr abgebranntes Haus in Galicien.
Keine anonyme Flammenwand, konkretes Leid: Eine Frau steht in Galicien vor den rauchenden Trümmern ihrer Existenz. © Brais Lorenzo/EFE

Während viele ihren Urlaub in Spanien genießen können, brennt hinter den Stränden das Land ab und damit auch ihre alte Welt. Klimawandel und menschliche Ignoranz paaren sich zum Unausweichlichen, das sich nicht mehr leugnen lässt. Ein Überblick.

Update, 15. August: Jetzt hat es auch die Region Valencia erwischt: Im Hinterland der Costa Blanca, bei Pego, wütet seit Samstagabend, 13. August, ein schlimmer Waldbrand. Häuser in mehreren Dörfern mussten evakuiert werden, das Feuer breitet sich unkontrolliert aus. Der Rauch ist in weiten Teilen der Costa Blanca sicht- und riechbar.

Feuer auf Kanarischen Inseln - Sommer 2022 in Spanien: Dreimal Madrid abgebrannt

Update, 25. Juli, 10.30 Uhr: Über 600 Personen mussten am Wochenende auf Tenerifa wegen eines unkontrollierbaren Waldbrandes evakuiert werden. In der Zone Los Realejos im Norden der Kanaren-Insel verbrannten bis Sonntagabend mittlerweile 2.700 Hektar, die Feuerwehr konnte nicht verhindern, dass die Flammen bereits in den Nationalpark des Teide-Vulkans eindrangen.

Auf der Iberischen Halbinsel, wo die überdurchschnittliche Hitze in weiten Teilen des Landes anhält, sind die Provinzen Ávila, Zamora und Burgos (alle in Kastilien und León) jene mit den größten Waldbränden, doch im gesamten Land brachen immer wieder Brände aus, die in den meisten Fällen bald kontrolliert werden konnten.

Allein in Burgos und in Zamora mussten jedoch am Sonntag je sechs Dörfer geräumt werden, das Großfeuer von Losacio, in dem auch ein Schäfer und ein Feuerwehrmann gestorben waren, hat mittlerweile 31.500 Hektar verbrannt. Die bisherigen Schätzungen der Regierung von 60.000 Hektar, die 2022 verbrannt sind, wurden auf 200.000 Hektar korrigiert, das sind 2.000 Quadratkilometer, also eine Fläche von 40 mal 50 Kilometer oder dreimal die Stadtflächeder Metropole Madrid. Damit ist das Jahr 2022 schon jetzt, Ende Juli, hinsichtlich der Waldbrände das schlimmste seit Beginn der Aufzeichnungen.

Erstmeldung, 20. Juli: Madrid - In den vergangenen zehn Tagen sind in Spanien mindestens 60.000 Hektar abgebrannt, eine Fläche größer als der Bodensee und ungefähr doppelt so viel wie ganzjährig im Schnitt der letzten zehn Jahre. Zwischenzeitlich wurden in Spanien über 50 Waldbrände gleichzeitig bekämpft, viele davon tagelang "außer Kontrolle". Etliche davon entwickelten sich so explosionsartig, dass die Feuerwehren vor Ort nur noch weiträumig Bereiche abstecken, auf Luftunterstützung und den "richtigen" Wind hoffen konnten.

Die zweite Hitzewelle dieses Sommers in Spanien ging nicht zufällig Hand in Hand mit der zweiten großen Welle Waldbrände. Bereits im Juni brannte es, ungewöhnlich früh, lichterloh in vielen Teilen Spaniens. Die wärmesuchenden Satelliten des Copernicus-Systems überziehen Spanien und Südeuropa mit roten Punkten, die zu Flächen anschwellen, wie ein gefährlicher Hautausschlag. Es ist schwer zu verdauen und einzuordnen, was dieser Tage über Spanien - und über halb Europa - hereingebrochen ist und noch immer wütet: Flammenmeere so aggressiv und zahlreich wie man sie noch selten sah.

Live-Daten zu Waldbränden gibt es hier bei Copernicus.

Satelliten-Analyse des EU-Copernicus-Systems Effis für Spanien
Satelliten-Analyse des EU-Copernicus-Systems Effis: Rot = aktuelle Brände (20. Juli, 15.00 Uhr), Orange: Brände der letzten 7 Tage. © Effis/Copernicus

Waldbrände in Spanien und Portugal fordern mehrere Todesopfer

Während Millionen Touristen heiße, aber doch erfreuliche Zeit an den Stränden verbringen, brennt hinter ihnen, wo es noch mal ein paar Grad heißer ist, das Land ab. Menschen müssen rennend aus ihren Häusern fliehen, verlieren all ihre Habe, das Vieh stirbt, ihre Lebensgrundlagen verbrennen. Insgesamt wurden in Spanien über 10.000 Personen aus drei Dutzend Ortschaften evakuiert. Auf einem Video sieht man einen Mann in Flammen aus einer Feuerwand um sein Leben rennen.

Ein Feuerwehrmann und ein Schäfer bei Zamora sterben in den Feuern, in Portugal finden sie die verkohlte Leiche einer Frau in einem Maisfeld und ein Löschflugzeug stürzt ab, der Pilot stirbt. Dutzende Häuser und Gehöfte werden zerstört, in der Extremadura, in Kastilien und León, in Galicien. Menschen verlieren alles, Feuerwehrleute brechen vor Hitze, Anstrengung oder vor Verzweiflung weinend in ihren schweren Schutzanzügen zusammen. Die gleichen Bilder in ganz Südeuropa, von Kroatien über Griechenland, über Italien, Frankreich bis nach Portugal.

20. Juli: 24 Waldbrände in Spanien "aktiv" oder "außer Kontrolle"

Ein spanischer Feuerwehrmann trauert um einen toten Kollegen.
Ein Feuerwehrmann in Zamora erfährt gerade, dass sein Kollege in den Flammen ums Leben kam. © Emilio Fraile/dpa

Allein in Galicien, sonst als Spaniens feucht-kühles Eckchen bekannt, verbrannten bisher in 16 Großfeuern 20.000 Hektar, weitere 20.000 in der Provinz Zamora (Kastilien und León), wo einige Gebiete gleich zweimal von Feuerfronten überrollt wurden, wie die Sierra de Culebra, die bereits im Juni 25.000 Hektar an die Flammen verlor. Der dritte Hot Spot ist die Extremadura, vor allem das Valle de Jerte, das momentan unter Kontrolle gebracht werden konnte sowie der Naturpark de Monfrague. Meldungen über neue Brände laufen in Spanien stündlich über die Ticker.

Am heutigen Mittwoch, 20. Juli, wurden 24 Großbrände als "aktiv" oder "außer Kontrolle" benannt, bei Carballeda de Valdeorras in Orense, Losacio (Zamora), Folgoso (Lugo) und ganz frisch ein Brand in Ateca bei Zaragoza, der zur Schließung der A-2 und zur Räumung von fünf Orten führte und bereits über 5.000 Hektar fraß. Weitere neue Herde werden aus La Rioja und Guadalajara gemeldet. "Es kann jederzeit überall brennen", sagte einer der Einsatzleiter resigniert in eine TV-Kamera.

Allein im vergleichsweise kleinen Galicien sind derzeit 40 Löschflugzeuge und -helikopter am Himmel, über 100 Löschfahrzeuge, 1.500 Einsatzkräfte am Boden in den Kampf gegen das Feuer involviert, Polizei, Zivilschutz, Parkranger, Freiwillige und UME-Katastropfenschutzeinheit der Armee nicht mitgezählt. Auch die AVE-Verbindungen zwischen Madrid und Galicien sind unterbrochen. Im Netz kursieren Videos wie ein Schnellzug auf der Strecke halten musste, umschlossen von Flammen, angststarre Gesichter der Passagiere.

Levante-Wind hält Waldbrände in Spanien von Urlaubsorten fern: Noch

Sie kamen mit dem Schrecken davon, ebenso wie die meisten Touristen. Bisher. Starke Levante-Winde, von den Feuerwehrleuten als üble Brandbeschleuniger verflucht, trieben, da von Südosten kommend, die Flammen bisher zuverlässig von den Küsten weg, verhinderten so eine Katastrophe in den überfüllten Touristenorten und Großstädten. Manchmal können die Urlauber den Schrecken schon riechen und sehen, wie in Bages in der Provinz Barcelona, wo 1.700 Hektar in gerade 24 Stunden nierbrannten. Oder an der Costa del Sol, wo - einmal mehr - die Sierra hinter den Stränden bei Málaga in Flammen stand.

Waldbrand in der Provinz Barcelona in Spanien.
Ein Löschflugzeug versucht einen der dutzenden Waldbrände in Spanien einzugrenzen. Hier bei Bages, Barcelona. © Lorena Sopêna/dpa

Nachdem im Juni jene Reste der Sierra Bermeja nördlich von Marbella abbrannten, die den September 2021 überstanden hatten, brannte nun die Sierra de Mijas, der andere Flügel der grünen Lunge Málagas. Eine riesige Rauchwolke überspannte die Strände der Sonnenküste, war bis Málaga Stadt zu sehen, bedrohte den Flughafen. Über 6.000 Hektar zwischen Mijas und den beiden Alhauríns verbrannte, zwischenzeitlich mussten 3.200 Menschen aus ihren Häusern raus, darunter auch ein paar ausländische Urlauber, weil die Flammen anfangs so entfesselt mit bis zu 50 Meter in der Minute vordrangen, dass die Polizei auf Nummer sicher gehen wollte. In Oliva an der Costa Blanca flammte es am Wochenende kurz auf, auch unweit der Touristenhochburg Torrox. Ereignisse, die nur noch am Rande wahrgenommen werden, glücklicherweise konnten diese Brände schnell kontrolliert werden. Bisher.

Spaniens Regierungschef im Katastrophengebiet: "Klimawandel tötet" - Leugnung auch

Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez in Ourense
Warme Worte auf heißer Erde: Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez in Ourense, Galicien. © Fernando Calvo/Moncloa

Mitfühlend aber ratlos stehen dieser Tage die Politiker vor den TV-Kameras. Regierungschef Pedro Sánchez besuchte die Extremadura und Galicien, sagte Hilfen zu, mahnte zu mehr Geschlossenheit beim Kampf gegen den Klimawandel, "der tötet", so Sánchez. Dabei geht es nur noch darum, den Schaden zu begrenzen, das Kind ist längst in den wasserlosen Brunnen gefallen.

Für viele scheint es schwer, anzuerkennen, dass solche Katastrophen immer mehr zum Normalzustand werden. Es wird in Zukunft eine Nachricht sein, wenn die Temperaturen mal nicht die 40 Grad übersteigen, ein ganzes Wochenende mal kein neuer Waldbrand aufbrandet. Nein, es ist kein normaler Sommer. Ein Wettermann im spanischen Fernsehen legte noch eins drauf: An den Sommer 2022 werden wir uns bald als den frischsten der Vergangenheit erinnern. "Kollektiver Selbstmord" fährt der UNO-Generalssekretär aus der Haut, weil die Menschheit die Instrumente, die Mittel und das Wissen hat, ihren Anteil an der Erderwärmung herunterzufahren, der Naturverwahrlosung entgegenzuwirken und sich zumindest so an die Veränderungen anzupassen, dass der Schaden für die Menschen minimiert wird.

Waldbrand in Nordspanien 2022.
In Galicien zerstörten die Flammen nicht „nur“ Naturgebiete, sondern auch Dörfer. © Brais Lorenzo/EFE

Im Moment verliert sich die Debatte indes zwischen Angst, Schuldzuweisungen und bruchstückhaften Lösungsversuchen, negieren wir noch immer die Dimension unseres Scheiterns. Wer uns die Wahrheit ungeschminkt serviert, wird als "Panikmacher" abgestempelt. Psyhchologisch hängt ein Großteil der Menschheit bei der Bewältigung des Unvermeidlichen noch immer auf der ersten Stufe fest: Leugnung, andere sind schon bei Wut oder Schachern, nur zur Akzeptanz und Veränderung scheinen die wenigsten bereit, ob privat oder als Akteure in Verantwortung.

Umweltschützer als neue Sündenböcke: Wahre Gründe zeigen auf uns alle

Und schon wird eine neue Sau durch das Dorf der Sozialen Netzwerke getrieben. Nun seien, so liest man, die Umweltschützer mit ihrer Verbotskultur Schuld an der Heftigkeit der Brände. Wegen ihnen dürfe man ja nichts mehr machen, sie wollten ja "unberührte Natur", die dann so wuchert und als Zunder dient. Dabei sind es gerade die Ökos, die immer forderten, dass es nicht damit getan ist, einen Naturpark einfach zu deklarieren, sondern man Personal für die Flurpflege brauche. Das kommt aber von der Landesregierung. Oder oft eben auch nicht. Genau wie die Waldbrand-Feuerwehren, wie die Infoca in Andalusien, die als Teilzeitkräfte im Herbst bis zum nächsten Sommer gefeuert werden. Genau dann, wenn sie mit der Prävention beginnen müssten.

Es sind auch die geschimpften Umweltschützer, die die intensive Viehproduktion kritisieren, mit der Großkonzerne durch Massentierhaltung Schäfer und Kuhtreiber und damit ganze Landschaften ruiniert haben. Agrar-Konzerne, die mit hunderten Quadratkilometern Gewächshäusern, die Europa billig mit Gemüse versorgen, tausende Bauern zur Aufgabe ihrer Felder zwangen, die dann verwahrlosten. Wer sich aber gegen die Lebensmittelindustrie und exzessiven Billigfleischkonsum äußert, muss sich in Spanien als unpatriotischer Extremist beschimpfen lassen. Zum Thema: Massentierhaltung in Spanien.

Dabei sind die Naturparks zwar von den Feuern betroffen, machen aber nur den kleinsten Teil der brennenden Flächen aus, 70-80 Prozent sind in Privatbesitz. "Eigentum verpflichtet", sagte denn auch indirekt Alfonso Rueda Valenzuela, Galiciens Landeschef, als er den Landbesitzern ins Gewissen sprach: "Es reicht nicht, Wald und Feld zu besitzen, sie müssen auch bearbeitet werden".

Portugals Innenminister zu Waldbränden: "Kriminelle Energie und Dummheit"

Portugals Innenminister José Luís Carneiro bestätigte die "schlimmste Kombination von natürlichen und menschlichen Faktoren", die zu den 250 Bränden im Nachbarland führten und sie schürten. So sei die Hälfte der Auslöser auf "Feldbereinigungen" durch gelegte Feuer durch Landwirte zurückzuführen, andere Auslöser seien "Grillabende im Wald" oder auch einfach der "Funkenflug ausgelöst durch einen Ausflügler oder Bauern mit seinem Traktor". Bei mehreren Bränden in Spanien sind laut Guardia Civil auch Pyromanen im Spiel, ebenso wie Spekulanten, auch wenn in Spanien nach nationaler Gesetzgebung abgebrannte Naturflächen bis zu 30 Jahre nicht umgewidmet also zur Bebauung freigegeben werden können.

Die "kriminelle Enerige und die Dummheit der Menschen", so der portugiesische Minister, sei eine Sache, doch die "neuen Qualität dieser Brände, die sich kaum noch kontrollieren lassen", haben ihre Ursachen ganz klar im Klimawandel und seien nicht "eben normal" für einen Sommer in Portugal oder Spanien. Oder jetzt eben doch.

Auch interessant

Kommentare