Spaniens Tourismus liegt am Boden: „Ein Jahr zum Vergessen“

Rund 10 Milliarden Euro verliert Spaniens Tourismusindustrie 2020 an das Coronavirus. Die Ausländer brachen weg, die Spanier haben kein Geld zum Reisen. Eine baldige Besserung ist nicht in Sicht, EU-Hilfen bleiben unbestimmt.
Madrid - Spanien hat seinen schlimmsten Sommer erlebt. Noch nie, seit der demokratischen Zeitrechnung, ist der Tourismus, der Job- und Geldmotor des Landes, derart stark eingebrochen. Wegen der Coronavirus-Krise blieb der internationale Tourismus fast aus, um 75 Prozent im Juli auf 2,5 Millionen Reisende und um 76 Prozent im August auf nur noch 2,4 Millionen Urlauber aus dem Ausland. Laut IATA, der zivilen Luftfahrtorganisationen, fanden im Sommer zwei Drittel weniger Flüge von und nach Spanien statt als 2019.
Der nationale Tourismus, der vor allem im August seinen Höhepunkt erreicht, konnte nicht einmal im Ansatz diesen Ausfall kompensieren. "Die Daten sind niederschmetternd, dramatisch, eine einzige Katastrophe", sagt Juan Molas Präsident des "Mesa de Turismo", sozusagen dem Dachverband der Branchenvereinigungen der spanischen Tourismusindustrie. Das schlimmste sei derzeit aber die "Ungewissheit, wie es in den kommenden Monaten weitergeht, weil niemand sagen kann, wie es mit einem Impfstoff oder einer wirksamen Behandlung und damit mit der Pandemie weitergeht", so Molas gegenüber dem staatlichen Fernsehen. Ähnlich äußerten sich jüngst auch Benidorms Geschäftsleute bei einer Demonstration.

Der Sektor erlebte eine Achterbahnfahrt, die sich am Ende als Absturz entpuppte. Denn "das kleine Licht am Horizont mit dem Ende des Notstandes am 21. Juni und einem Anstieg der Reservierungen für den Sommer", wurde durch die wieder steigenden Fallzahlen und alsbald durch Reisewarnungen, Quarantänen und Pflichttests schnell zu nichte gemacht. "Spätestens Anfang August war klar, dass nichts mehr zu retten war".
Auch der spanische Inlandstourismus konnte da nichts mehr richten, obwohl die Hotelpreise im Schnitt um ein Zehntel gesenkt wurden. Das Statistikamt INE rechnet aus, dass die Nächtigungen in Hotels im Juni 95 Prozent unter dem Wert des Vorjahres lagen, im Juli 73,4 und im August um 64 Prozent geringer waren, in jenem Monat, in dem normalerweise ganz Madrid an die Küsten aufbricht.
In einer Animation zeigt „El País“ wie viele Geschäfte auf der Gran Vía in Madrid in diesem Jahr schließen mussten:
Einige Regionen hatten Glück im Unglück. So profitierten Kantabrien und Asturien vom Boom des ländlichen Tourismus und meldeten für 2020 Auslastungen von 70 Prozent (bis August), während Spanien insgesamt nur auf 44 Prozent kam. Auch einige Orte entlang der Mittelmeerküste wie an der Costa Blanca, die besonders auf Ferienwohnungen und Residenzialtourismus spezialisiert sind, litten weniger. Die Masse der Orte, die von Pauschal- und Massentourismus abhängig sind, von Benidorm über die Balearen (Auslastung 40%) bis zu den Kanaren (46%) stehen vor dem Ruin.
Der Branchenverband Exeltur summiert die finanziellen Verluste für den Tourismus in Spanien für 2020 auf fast 10 Milliarden Euro, der Einbruch der Tourismuswirtschaft trägt also rund die Hälfte des gesamten Einbruchs der Wirtschaftsleistung in Spanien in diesem Jahr. 300.000 Menschen weniger als in den Vorjahren bekamen im Sommer einen Job. Das bedeutet für sie aber nicht nur den Verlust der Saison, sondern für viele ein Darben bis zur nächsten, denn viele Saisonkräfte sparten in den vier bis fünf starken Monaten Geld an.
Die Aussichten werden nicht besser, selbst wenn der ausländische Tourismus vielleicht im nächsten Jahr anzieht. Drei von vier Spaniern würden aus Geldmangel in der nächsten Zeit keine Reise planen, ermittelte ObservaTur, weitere 12 Prozent würde die Angst vor dem Virus von einer Reise abhalten. Dass sich die Kaufkraft der Spanier so schnell nicht bessern wird, das weiß die Banco de España. Sie sieht einen BIP-Rückgang im Lande von 12,6 Prozent für 2020, die Regierung "nur" ein Minus von 9,2 Prozent. Die Regierung glaubt auch, dass bis 2022 das meiste der Verluste wieder aufgeholt werde, die Staatsbank sieht das nicht vor 2023.
Schon vor Corona lebten 12 Millionen Spanier, also mehr als ein Viertel an oder unter der Armutsgrenze und mehr als die Hälfte gaben bei einer Umfrage des Europäischen Netzwerks gegen Armut und Segregation an, Probleme zu haben, mit ihrem Gehalt bis zum Monatsende zu kommen. Zahlen, die durch die sich nun entfaltende Wirtschaftskrise trotz EU-Milliarden noch verschärfen werden, so das Netzwerk. Für die Reisebranche heißt das weitere magere Jahre und noch mehr Arbeitslose, die den Teufelskreis am kreiseln halten.
Dass die Antwort der Regierung unter anderem mit den ERTE-Modellen, von der Branche als bei weitem nicht ausreichend gesehen wird, ist natürlich. Der Generalsekretär der Hostelería de España, Emilio Gallego, fordert "einen klar deifnierten Anteil der 140 Milliarden Euro, die Spanien aus dem EU-Wiederaufbaufonds erhält" für die Tourismusbranche. "Das ist ein Rettungsfonds und sollte auch so verwendet werden", so Gallego, "für den Wiederaufbau, die Modernisierung und den Relaunch".