Stierkampf in Spanien: Zukunft ohne Tierquälerei möglich? Zur Plaza de Toros in Alicante

Ein nutzloser Klotz ist die Stierkampfarena an Alicantes Plaza de España zurzeit. Seit dem Coronavirus-Notstand gibt es weder Konzerte noch Fiestas, schon gar keine Stierkämpfe. Doch anstatt den traditionellen Orten zeitgemäßen Sinn zu geben, verliert sich Spanien um den Stierkampf in ideologischen Grabenkämpfen.
- Seit 500 Jahren sind in Alicante Stierkämpfe nachgewiesen, zu Festen und in improvisierten Arenas, sogar am Hafen.
- Die Plaza de Toros wurde 1849 eröffnet und war schon immer eine "Mehrzweck-Halle", denn ohne öffentliche Subventionen gäbe es in Spanien keinen Stierkampf.
- Der Stierkampf in Spanien ist zu einer politisierten Debatte verkommen, dabei gibt es genügend Beispiele, die Traditionen hochleben lassen, ohne Tiere zu quälen.
Alicante - Die letzten Stiere starben in der Stierkampfarena von Alicante, die 16.000 Menschen fasst, im Juni 2019 zu den Fiestas de Hogueras de Alicante. Damals gab es lautstarke Proteste, Hunderte demonstrierten gegen kommerzielles Gemetzel, das als Kunst verkauft wird, Farbbeutel flogen. Nicht nur Alicantes und Valencias Stierkampf-Anhänger sind schon seit Jahren auf Millionen-Subventionen angewiesen, denn die Arenas tragen sich durch corridas kaum noch. In Alicante taten sie das eigentlich nie richtig.
Als der Stierkampf in Spanien in Madrid, Barcelona und Sevilla blühte, improvisierte Alicante noch
Schon im 15. Jahrhundert, Alicante war damals ein entvölkertes Nest von 2.000 Seelen, soll es Stierkämpfe gegeben haben, nachgewiesen sind Fest-Corridas 1605 zur Geburt des Prinzen Felipe IV. oder im Jahre 1700, als man das 100-jährige Kirchenjubiläum von San Nicolás mit Stierkämpfen am Meer beging, auf der heutigen Plaza del Mar mit der großen Rotunde. Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden die großen, fest installierten Stierkampfarenen in Spanien, in Barcelona (heute ein Shopping-Center), Real Maestranza in Sevilla oder Las Ventas in Madrid, bis heute die größte des Landes.

In Alicante improvisierte man weiter. In den Vororten und im Hof der Posada San Fransicso unweit der heutigen Calle Gerona installierten Schausteller auf kleinen Plätzen Bretterverschläge, um für ein paar Münzen Eintritt Spektakel zu bieten. Doch Überschwemmungen und die begrenzten Kapazitäten setzten den Einrichtungen zu oder machten sie unrentabel.
Dort wo heute das Stadttheater steht, auf der Plaza Ruperto Chapí, damals Plaza del Barranquet, entstand 1839 eine feste Arena mit 5.000 Plätzen. Doch auch die rechnete sich nicht. 1846 baute der Architekt Emilio Jover dort das bis heute schmucke Stadttheater und bekam ein Jahr später den Auftrag, die aktuelle Stierkampfarena zu errichten, die 1849 mit neun Stieren eingeweiht wurde. 10.000 Menschen fasst die Arena damals, 1888 wurde nochmals aufgestockt auf 16.000, damals entstand die Plaza de Toros so, wie wir sie heute kennen.
Stierkampf in Alicante: Lieber auf´s Dorf als in die teure Arena
Doch die Alicantiner kamen nicht in Strömen zu den Events, sie waren ihnen einfach zu teuer. Die Stadt bestand damals aus bettelarmen Fabrikarbeitern, Hafenvolk und verstädterten Bauern, also Tagelöhnern. Zahlreiche Fiestas in den Dörfern im Umland lockten mit Stier-Events, wo man keinen Eintritt zahlen musste und billig an Wein kam. in den Vororten Benalúa und San Juan gab es zudem Konkurrenz durch Bretter-Arenen.

Die Veranstalter waren einfallsreich als sie bemerkten, dass sie mit Stierkämpfen allein nichts verdienten: 1878 berichtet man von einer exotischen Gymnastiktruppe des Benizong-Stammes aus Nordafrika, die „ohne Flügel fliegen“ könnten. Magier, Wunderheiler, die Seiltänzerin Madamme Escotti, Miss Loreley in ihrem Aquarium traten auf, auch Juan Milá, der an 12 Sonntagen in Folge seine Heißluftballons aus der Arena steigen ließ. Doch die Veranstalter gingen reihenweise Pleite und wechselten fast jährlich. Seit 1928 etablierten sich die Fiestas de „Fogueres de Sant Joan“ mit ihren Stierkämpfen, bald vom Bürgerkrieg unterbrochen. 1986 kaufte die Stadt den Komplex und lässt die Arena von einem Veranstalter bespielen.
Stierkampf in Spanien wird zum ideologischen Grabenkampf
Derzeit verirren sich nur ein paar Touristen in das Stierkampfmuseum beim Seiteneingang, in dem die alte Welt mehr aufgebahrt als ausgestellt scheint. Alicante liegt in seinem Verhältnis zum Stierkampf genau in der Mitte Spaniens, zwischen den Extremen totaler Ablehnung in Katalonien und der inbrünstigen, fast religiösen Verteidigung in Andalusien, der Extremadura oder in Madrid.

Bis auf die blutige Woche der Hogueras ist die Plaza de Toros von Alicante längst verweltlicht und dient als Fiesta-Bühne, Konzertarena, Eislaufpiste, Weihnachtsmarkt und Verteilstation für die Heiligen Drei Könige. Ob die Stierkämpfe schon 2021 zu den Hogueras zurückkommen, ist bei der Coronavirus-Lage noch völlig ungewiss. Alicantes Stierkampfarena hätte mit seinem stimmungsvollen Rund, das an ein Amphitheater erinnert, aber auch eine Zukunft als soziales, kulturelles Zentrum, – ohne kultische Tierquälerei.
Kleiner Rundgang durch die Stierkampfarena von Alicante und ihr Museum:
Eine Debatte die überall im Land ansteht, aber als ideologischer Grabenkampf geführt wird. Wer gegen den Stierkampf ist, wird als unpatriotischer Spanier gebrandmarkt und umgekehrt wird ebenso als Unmensch verteufelt, wer der alten Tradition - die sie nun einmal ist - anhängt. Die Nostalgie und die Gewohnheit sind aber nun einmal zutiefst menschlich und hinzu kommt die Sturheit, die sehr spanisch ist. Überzeugen will scheinbar niemanden jemanden vom anderen Lager, nur noch niederschreien.
Coronavirus und Stierkampf in Spanien: Eine Zäsur
Auch in der Coronavirus-Krise wird der Stierkampf instrumentalisiert, die Landesministerpräsidentin von Madrid, die berühmt-berüchtigte Isabel Diaz Ayuso, lässt sich auf stimmungsvollen Fotos in einer leeren Stierkampfarena ablichten, um ihre Unterstützung für den "leidenden Sektor" kund zu tun. Sie setzte für Ende August demonstrativ eine große corrida in Alcalá an, die nie hätte genehmigt werden dürfen, um sie dann ebenso wirkungsvoll in letzter Minute abzusagen.
Am 26. Juli 2020 demonstrierten Tierschützer in Alicante gegen eine Rückkehr der Stierkämpfe nach der Coronavirus-Krise:
Durch die Hintertür der "Kulturförderung" erhält der Stierkampf in Spanien Coronavirus-Hilfsgelder auch von der linken Regierung, die eigentlich gegen den Stierkampf ist. "Wir lassen niemanden zurück". Das meinte Regierungschef Sánchez wörtlich. Tierschützer feiern inzwischen ein paar hundert gerettete Stiere, während Zuchtbetriebe auf die Pleite zusteuern und heimlich Stierkämpfe abgehalten werden.
Unentschieden in Alicante: Alternativen zum Stierkampf
In Alicante steht es derzeit Unentschieden im Kampf um den Stierkampf. 2018 verbat die PSOE-Stadtregierung das Spektakel und wollte nur noch die Schönen Künste in der Arena finanzieren. Doch wurde sie 2019 abgewählt, die PP kam zurück und mit ihr gewannen die alten Kasten der Fiestas und der Kirche nochmals Oberwasser. Die Sinnsuche betrifft in Alicante ja nicht nur die Stierkampfarena, sondern auch andere Orte, die dem Wandel der Zeiten unterliegen: Die alte Tabakfabrik von Alicante erfindet sich als Ort der Kultur neu, die zentrale Plaza Luceros ringt hingegen noch mit ihrem braunen Erbe.
In das Leben statt den Tod der Stiere investieren
Im Barrio, dem Alstadtviertel, harren etliche Stadt-Palacios verfallend besserer Zeiten. Gelungen ist die Symbiose aus Alt und neuer Nutzung ganz hervorragend bei zwei Museen: Dem Museum für moderne Kunst, Maca, neben der alten Kirche Santa María, das ein altes Palais vorbildlich restauriert integriert, sowie auch das Museum der Schönen Künste von Alicante, Mubag, im Palais Gravina.

Vielleicht schafft das Virus auch neue Tatsachen für die Plaza de Toros in Alicante, vielleicht aber brauchen die Alicantiner einfach noch etwas Zeit. Die Politik sollte hier lenken: Die Subventionen - gerade erhielten Stierzüchter von der Provinzverwaltung Valencia eine Ausfall-Subvention - könnte man schließlich auch in das Leben der Stiere, statt in ihren Tod investieren. Die Rassen und Zuchtfarmen so erhalten und sich im Zuge des ländlichen Tourismus - der ja wegen Coronavirus Aufschwung erfährt - an den edlen Geschöpfen erfreuen, ohne sie dem billigen Amusement zu opfern.