Ein Wochenende ohne Filme, Serien und Videos – Wenn Essen zur Achtsamkeitsübung wird
Ein Wochenende ohne die Berieselung von Netflix, YouTube, Reels und Co. Das eigentlich kleine Selbstexperiment wird für mich zur großen Herausforderung.
Hamburg – Schau nicht so viel Fernsehen, sonst bekommst du viereckige Augen – diesen Spruch durfte ich mir während meiner Kindheit immer wieder von meiner Mutter anhören. Hätte sie damit recht gehabt, dann hätte meine Brille heutzutage wohl keine runden Gläser. Denn mit etwas Reue muss ich gestehen, dass ich täglich mehrere Stunden mit dem Starren auf kleine und größere Bildschirme verbringe. Egal ob Instagram-Reels, YouTube-Videos, Filme oder Serien, irgendeine Form des Bewegtbilds flimmert immer im Hintergrund. Passend zur Fastenzeit wollte ich dies nun ändern und dabei wurde ausgerechnet mein Mittagessen zum Endgegner.
Videos fasten – Klingt einfach und ist es doch auch oder? oder?
Eigentlich sollte man wohl meinen, dass ich nach einer Arbeitswoche, bei der ich täglich acht Stunden vor dem Laptop hänge, nicht auch noch mein Wochenende vor einem Bildschirm verbringe. Tja... falsch gedacht. An einem normalen Wochenende scrolle ich nämlich gut und gerne alleine zwei Stunden am Tag durch Instagram Reels und versinke für höchstwahrscheinlich noch mehr Stunden in YouTube-Rabbitholes à la: Eigentlich suche ich nach der perfekten Anleitung eine Mango zu schneiden, lande aber 30 Videos später bei einer Anleitung zum Iglu-Bau, wohl wissend, dass ich niemals ein Iglu bauen werde.
Und in diese Zeit sind weder Netflix noch andere Streaming-Dienste mit inbegriffen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, wirklich auf jegliche Art von Filmen, Serien und Videos zu verzichten, um so vielleicht auch mal meinen Augen eine Auszeit zu gönnen. Selbst wenn sich Rockstar Games dazu entscheiden würde einen GTA 6 Trailer zu veröffentlichen, wollte ich standhaft bleiben.

Der erste Tag: Doch schon der Samstagmorgen entpuppt sich als erste Herausforderung. Als ich noch gar nicht richtig wach bin, steuert meine Hand bereits automatisch mein Smartphone an, als gäbe es einen süßen Welpen zu streicheln. Beim Checken meiner Benachrichtigungen werde ich allerdings von diesem Satz überrollt „XY hat ein Reel geteilt“. Uff. Meine Laune ist im Keller, wie gerne würde ich meinem Hirn diese 5 Sekunden Euphorie eines lustigen Reels gönnen, aber ich bleibe hart.
Ohne das Ritual der morgendlichen Reel-Übermittlung an Freunde, wird mein Handy im Bett nutzlos. Wie Großeltern, wenn sie das erste Mal ein Smartphone in der Hand halten, fühle ich mich etwas lost - Was mache ich denn eigentlich mit dem Ding?
Kein Netflix zum Mittag – der Start einer Achtsamkeitsübung
Ping! „Hast du das Video schon gesehen?“ Die nächste Versuchung lässt nicht lange auf sich warten. Gerade als ich mich am Vormittag dazu entschieden habe, einem meiner verstaubten Bücher im Regal nochmal eine Chance zu geben, bekomme ich ein One Piece Video zugeschickt: „Das sind Spoiler zum nächsten Kapitel“. So gerne ich auch wüsste wie die Geschichte um Ruffy weiter geht, so sehr muss ich leider auch meine Daumen bändigen, nicht den Play-Button zu drücken. Stattdessen fordere ich meinen Freund auf, mir das Video in einem eigenen Essay wiederzugeben.

So weit, so gut. Mit meiner automatisch sehr stark reduzierten Handy-Zeit, kann ich mich am Mittag voll und ganz aufs Kochen konzentrieren. Bei all der Vorfreude aufs Essen läuft mir plötzlich aber ein eiskalter Schauer über den Rücken – ich kann während des Mittagessens ja gar nichts gucken. Und da wird mir mit einem Schlag klar, wie sehr ich mich über Jahre hinweg darauf konditioniert habe, zu jeder Mahlzeit ein Video oder eine Serie zu sehen. Dabei ist mir die Auswahl der richtigen Unterhaltung teilweise so wichtig, dass mein Essen nur noch lauwarm ist, bis es zum ersten Bissen kommt.
Ohne die Berieselung von Community oder der letzten ZDF Magazin Royale Folge, wird mein Essen dann plötzlich zu einer Achtsamkeitsübung. Jeder, der sich schon mal mit diesem Thema beschäftigt hat, kennt mit Sicherheit die Rosinen-Übung. Bei dieser wird über mehrere Minuten eine Rosine im Mund behalten, damit Geschmack und Textur der getrockneten Weintraube genauestens inspiziert werden können. Darauf habe ich aber absolut keine Lust. Und während ich in kompletter Stille von meinen eigenen Kaugeräuschen kirre werde, blicke ich traurig zur noch aufgerollten Leinwand.
YouTube-Verbot – Meine schlechten Gaming-Skills bescheren mir den Fastenbruch
Ping! Reel Reel Reels. Bis zum Abend kribbelt es mir immer wieder in den Fingern und ich denke mir: Ein Reel bekommt doch niemand mit. Da mich weder Buch noch Comic so wirklich zufriedenstellen und das Wetter auch nicht zum Spazieren einlädt, muss andere Ablenkung her. Und hier habe ich dann das erste Mal das Gefühl, ich veräppele mich selber. Denn meine Wahl fällt, eigentlich wenig überraschend, aufs Zocken.
Es wird gezockt: Ja, zugegeben, von Games-Fasten war nie die Rede, aber eigentlich hatte ich gehofft, dass ich die gewonnenen Stunden mit etwas aktiveren Freizeitgestaltungen füllen würde. Aber da ist die Switch auch schon an. Aktuell kämpfe ich mich durch die Welt von Hollow Knight, dabei bereitet mir allerdings ein bestimmter Boss Probleme. Aber kein Ding. Irgendwer hat auf YouTube doch bestimmt einen Guide zum Spiel hochgeladen... ach Mist.

Das Einschlafen gestaltet sich dann weniger problematisch. Statt im Bett noch eine Stunde aufs Handy zu starren und mir gemächlich durch das viel zu helle Display-Licht die Netzhaut wegzubrennen, höre ich entspannt die drei Fragezeichen auf Spotify.
Das Ende: Doch am nächsten Tag nimmt das Schicksal seinen Lauf. Denn Hollow Knight lässt mich nicht los. Völlig frustriert von meinem ständigen Scheitern in Heilandsnest akzeptiere ich in einem schwachen Moment dann auch mein Fasten-Scheitern. YouTube wird geöffnet. Der Guide wird gesucht. Ich drücke auf Play. Und das Kartenhaus bricht zusammen. Noch völlig ohne Reue öffne ich Instagram, doch schon nach dem ersten belanglosen Reel fühle ich mich ertappt und etwas beschämt. Das schlimmste: Für den Hollow-Knight-Boss hat es trotzdem nicht gereicht.
Ein Wochenende ohne Filme, Serien und Videos – Mein Fazit
Tatsächlich lässt mich das Wochenende schon mit einem Gefühl der Enttäuschung zurück, denn eigentlich war ich mir sicher, dass ein Wochenende ohne Videos wohl kein Problem werden sollte. Und ich kann auch schon hören, wie sich die ältere Generation mit Mistgabeln versammelt: „Die Jugend von heute. Früher haben wir den ganzen Tag im Dreck gespielt, nachdem wir bei den Großeltern 10 Stunden auf dem Feld geackert haben. Damals war sowieso alles besser“.
Vielleicht war es das auch, ich möchte aber trotzdem nicht auf meine Serien-Marathons verzichten. In Zukunft werde ich aber versuchen, gerade meine Zeit bei Instagram stärker zu reduzieren. Denn wenn ich ehrlich bin, findet sich unter 20 Reels doch auch nur eins, was mich leicht durch die Nase schnauben lässt. Den einen oder anderen Guide zum Videospiel kann ich aber verkraften und vielleicht freunde ich mich ja sogar noch mit dem Gedanken an, beim Essen mal YouTube geschlossen zu lassen.