TV-Kritik zu „Auf dunkler See“: Ein Film im Dienst-nach-Vorschrift-Modus

Kein Urlaub für ZDF-Kommissar Anders: Während der Überfahrt aufs schwedische Festland ereignet sich ein Mord.
- TV-Kritik zu „Der Kommissar und das Meer: Auf dunkler See“
- Der Spannungseffekt des ZDF-Films hält sich in Grenzen
- Wer von einem Fernsehkrimi viel verlangt, wird nur unzureichend bedient
Seit das ZDF den deutsch-schwedischen Kommissar Robert Anders (Walter Sittler) 2007 erstmals auf der Insel Gotland tätig werden ließ, bearbeiten der Kriminalist und sein Team durchschnittlich zwei Fälle pro Jahr. Eine realistische Verbrechensrate bei 60.000 Einwohnern? 2017, jüngere Zahlen waren nicht verfügbar, gab es auf Gotland vier Morde beziehungsweise Mordversuche. Im Jahr zuvor waren es sieben. Die ZDF-Reihe „Der Kommissar und das Meer“ bewegt sich demnach zumindest statistisch in einem halbwegs realistischen Rahmen. Robert Anders und seinen Kollegen geht die Arbeit nicht aus. Man ist versucht zu sagen: Sie verfolgt ihn sogar.
TV-Kritik zu „Der Kommissar und das Meer“ im ZDF: Es geschah am hellichten Tage
In letzter Minute erreicht Robert Anders mit seinem Stiefsohn Kasper Winarve (Grim Lohman) die Fähre Richtung Festland nach Nynäshamn. Von dort soll es weitergehen nach Stockholm zu Kaspers Mutter. Nicht bei dunkler See, wie der Titel verheißt, sondern an hellichtem Tag. Während der Überfahrt wird der Ermittler hellhörig, als die Worte „Leiche“ und „Polizei“ an seine Ohren dringen.
Die beunruhigten Mienen der drei Besatzungsmitglieder sprechen für sich. Anders gibt sich als Kriminalpolizist zu erkennen und erfährt, dass im Kabinenbereich des Schiffes eine Tote gefunden wurde. Er tut, was ein Polizist tun muss. Und er tut es unter zeitlichem Druck, denn die Fähre wird in drei Stunden anlegen. Die Passagiere werden das Schiff verlassen, und mit ihnen wohl auch der Mörder oder die Mörderin.
„Der Kommissar und das Meer: Auf dunkler See“ im TV (ZDF): Ein Knabe verschwindet
Glücklicherweise verfügt die Fähre über eine Hubschrauberlandefläche. Robert Anders lässt kurzerhand sein bewährtes Team einfliegen, den Ermittler Thomas Wittberg (Andy Gätjen) und die Rechtsmedizinerin Ewa Svensson (Inger Nilsson). Eine willkommene Entlastung, denn Robert Anders sorgt sich obendrein um Kasper. Nach einem kleinen Zwist hatte der sich selbstständig gemacht und blieb verschwunden, reagiert auch nicht auf Anrufe und Lautsprecherdurchsagen. Die Zuschauerschaft weiß mehr: Kasper hat den Mord beobachtet und wurde in einem Lagerraum eingesperrt. Und es kommt noch schlimmer für ihn...
Auch hat das Publikum bereits Bekanntschaft mit einem Passagier machen dürfen, der eine Pistole mit sich führt und insgesamt ein recht eigenartiges Betragen an den Tag legt.
Des Weiteren lenkt der für Buch und Regie verantwortlich zeichnende Miguel Alexandre früh schon die Aufmerksamkeit auf eine Hochzeitsgesellschaft. Eine Familie aus den höheren Ständen, offenbar eifrig bemüht, den Hochzeitstag unvergesslich werden zu lassen. Aber nicht im landläufigen Sinne …
TV-Kritik zu „Der Kommissar und das Meer: Auf dunkler See“ (ZDF): Begrenzte Spannung
Ob Insel, eingeschneiter Zug oder Kreuzfahrtdampfer – abgeschlossene Orte, die weder Zugang von außen noch ein Entkommen ermöglichen, bieten im Krimigenre reizvolle Möglichkeiten. Schauerlich wird es, wenn Mörder oder Mörderin ständig weitere Taten verüben und stets die Frage im Raum steht, wen es als nächstes treffen wird. Miguel Alexandre spielt andeutungsweise mit diesem Muster, wenn Anders’ Stiefsohn Kasper in eine gefährliche Lage gerät. Nur hält sich der Spannungseffekt in Grenzen, weil in deutschen Reihenkrimis dem Stammpersonal nur selten Übles widerfährt. Jedenfalls nichts, von dem man sich nicht bis zur nächsten Episode erholen könnte.
„Der Kommissar und das Meer: Auf dunkler See“, Samstag, 30.05.2020, 20:15 Uhr, ZDF
„Auf dunkler See“ ist ein typischer Feierabendkrimi, der nicht über die Maßen beunruhigt und das auch gar nicht soll. Wohlwollend könnte man Kommissar Robert Anders als bedächtigen Menschen einordnen. Gemächlich, geradezu matt, im Dienst-nach-Vorschrift-Modus verrichtet er seine Aufgaben. Einmal verliert er die Contenance und droht einem Verdächtigen mit Folter, weil er von dem Mann Informationen über den Verbleib Kaspers erhofft. Es passt nicht zu dieser Figur, und selbst in diesem Moment scheinen die Emotionen gebremst, nachtwandlerisch, wie nach zwei Tagen ohne Schlaf.
Man mag Walter Sittler den Grübler vielleicht abnehmen, als Heißsporn kann er nicht überzeugen. Nicht die einzige Stolperschwelle, die daran hindert, vollends und zu jeder Zeit in die Geschichte einzutauchen. Wie mehrfach erwähnt wird, sollen sich über sechshundert Passagiere auf der Fähre befinden. Man sieht jedoch nur immer dieselben kleinen Kreise, von wenigen Statisten abgesehen. Dann gibt es diesen Mann mit der Pistole, der so schlau war, auf dem Autodeck die Überwachungskamera nach oben zu richten.
„Auf dunkler See“ im TV (ZDF): Ein typischer Feierabendkrimi – Wer mehr verlangt, wird nur unzureichend bedient
Noch schlauer, weil unauffälliger allerdings wäre gewesen, sie einfach ein kleines Stück in der Horizontalen zu bewegen. Aber gut, womöglich war die Sache seitens des Schwerenöters denn doch nicht so richtig durchdacht. Dann allerdings schleppt er mühsam eine schwere Last ohne jede Not viele Meter längs übers offene Deck – es sind über sechshundert Leute, ergo mögliche Zeugen an Bord! –, um sie dann exakt im Fokus einer anderen Überwachungskamera über die Reling zu hieven. Die Szene ist eindeutig arrangiert, damit Kommissar Anders später das Gesicht des Mannes erkennen kann.
Die Beispiele zeigen: Man muss großmütig über vieles hinwegsehen, um auszublenden, dass man einer Inszenierung beiwohnt. Wer mehr verlangt von einem Fernsehkrimi, wird hier nur unzureichend bedient.
Von Harald Keller
Im ZDF-Krimi „Stralsund: Blutlinien“* erhält Kommissarin Petersen Hinweise auf das rätselhafte Verschwinden einer Freundin und muss sich neuen Verbrechen stellen.
Der Film „Abfall“ aus der ZDF-Reihe „Herr und Frau Bulle“ mit Alice Dwyer und Johann von Bülow ist ein rundum gelungener Krimi mit auffallend guter Bildgestaltung und komplexer Geschichte.
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